Eine aktuelle Fachkräfteanalyse und -prognose für Sachsen zeigt: Die Nachfrage nach sozialer Infrastruktur und der entsprechende Personalbedarf bleiben bis 2035 hoch. Besonders betroffen sind die Altenpflege, die Eingliederungshilfe und Teile der Kinder- und Jugendhilfe. Träger stehen damit dauerhaft vor herausfordernden Aufgaben: Sie müssen Personal gewinnen und binden, als Arbeitgeber attraktiver werden und ihre Organisation weiterentwickeln.
Klassische New-Work-Maßnahmen greifen hier oft nicht. Viele Beschäftigte arbeiten als Deskless Worker, arbeiten also ohne festen Büroarbeitsplatz. Schichtarbeit und physische Anwesenheit lassen sich nicht abschaffen, sondern sind schlicht erforderlich. Die Flexibilisierung und Modernisierung der Arbeitswelt erreichten diese Gruppe bisher nur teilweise.
Mehr Wertschätzung und Weiterbildung für Deskless Worker
Im After-Work-Format „Planbar, flexibel, digital – Wie verändern moderne Arbeitsweisen die Soziale Arbeit?“ am 12.11.2025 nahm Prof. Dr. Peter M. Wald (Professor für Personalmanagement an der HTWK Leipzig/Mitglied im Beirat des Paritätischen Sachsen) dieses Spannungsfeld auf. Er fasste in seinem Vortrag zunächst einige wissenschaftliche Erkenntnisse über Deskless Worker zusammen:
- Vertrauen ist in dieser Gruppe oft geringer ausgeprägt. Führungskräfte sollten Vertrauen gezielt aufbauen. Verantwortung zu übertragen, stärkt Vertrauen und Selbstwirksamkeit.
- Lernen wirkt direkt auf Motivation und Leistung. Deskless Worker sind bei der Weiterbildung aber bisher vergleichsweise benachteiligt.
- Arbeitszeit bleibt ein Hebel für Vereinbarkeit. Kürzere Arbeitszeiten, mehr Einfluss auf Dienstpläne und flexible Modelle können entlasten.
- Führung wirkt über Haltung und Verhalten. Wertschätzung, Fairness und Anerkennung sind wirksam. Die besonderen Erwartungen der Deskless Worker sollten systematisch erhoben werden.
- Onboarding entscheidet über Bindung ans Unternehmen. Ein strukturierter Einstieg ist unverzichtbar.
Digitale Tools sind „Ermöglicher“
Was bedeutet „modern arbeiten“ in der Sozialen Arbeit davon abgeleitet konkret? Zwei Punkte sind aus Sicht von Prof. Dr. Wald zentral: Teams organisieren sich stärker selbst. Digitale Hilfsmittel unterstützen die Arbeit intensiver, sie sind „Ermöglicher“. Anhand von Beispielen aus der Praxis zeigte Prof. Dr. Wald auf, welche Ansätze es in gewerblichen und sozialen Unternehmen bereits gibt:
- Führungsaufgaben können auf mehrere Personen verteilt werden. Das Teilen der Verantwortung bedarf allerdings einer Begleitung (Coaching) und gegebenenfalls entsteht stellenweise ein höherer Personalbedarf.
- Bewerbungsprozesse können vereinfacht werden. Für den Erstkontakt kommt beispielsweise ein schlankes Kontaktformular infrage.
- Mitarbeitende suchen sich vorm oder im Bewerbungsprozess selbst aus, welche Arbeitszeitmodelle oder Arbeitsorte sie bevorzugen. Eine passgenaue Stellenbesetzung ist so möglich.
- Mitarbeiter-Apps bzw. Dienstplan-Apps fördern Teilhabe und Gerechtigkeit. Darüber hinaus erleichtern sie Prozesse.
- Großzügige Weiterbildungsbudgets sichern die Qualität der Arbeit und ermöglichen die Anpassung an neue Tätigkeitsfelder.
Mit Blick auf die Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz verwies Prof. Dr. Wald zudem darauf, dass KI zu einer Umstrukturierung von Arbeitsaufgaben führen müsse. Verbunden damit seien Kompetenzaufbau und Deskilling gleichermaßen. Mitarbeitende müssen bei Digitalisierungsbestrebungen gut mitgenommen werden.
Moderne Arbeitsweisen nur mit ausreichender Finanzierung
Im Lauf des Vortrags und in der anschließenden, von Michael Richter (Geschäftsführer Paritätischer Sachsen) moderierten Diskussion brachten die Besucher*innen der After-Work-Veranstaltung ihre eigenen Ansätze, Perspektiven und Einwände ein:
- Anwendung finden bereits Mitarbeiter-Apps und Ansätze zu einer lebensphasenorientierten Dienstplangestaltung mit mehr Transparenz und Fairness. Auch der Übergang von der klassischen Stellenbeschreibung hin zur einer an die Fähigkeiten einer Person orientierten Rollenbeschreibung wird bereits erprobt.
- Räumt man Mitarbeitenden bei der Dienstplangestaltung mehr Mitgestaltung ein, müssen Rahmenbedingungen (Heimaufsicht, Arbeitszeitgesetz) beachtet werden. Das könnte über digitale Tools lösbar sein.
- Benefits, die die Arbeitgeberattraktivität erhöhen (z. B. Jobrad) werden von Mitarbeitenden gewünscht, sind aber für Träger, die von öffentlichen Mitteln abhängen, meist nicht finanzierbar.
- Auch der nötige Zeitaufwand, moderne Arbeitsweisen und digitale Tools in sozialen Organisationen einzuführen wird bisher nicht finanziell abgesichert. Hier muss der Nutzen für eine zeitgemäße Organisationsentwicklung und der dahinterstehende Anfangsaufwand auch gegenüber Fördermittelgebern noch deutlicher gemacht werden.
- Mit Blick auf die Fachkräftegewinnung ist die beschleunigte Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse sowie Erteilung von Arbeitserlaubnissen unerlässlich.
- Befragungen von Mitarbeitenden sind sinnvoll, sollten aber nur im Rahmen eines Organisationsentwicklungsprozesses stattfinden sowie professionell und ggf. von externen Akteuren durchgeführt werden.
- Um moderne Arbeitsweisen in der Sozialen Arbeit zu etablieren, braucht es darüber hinaus die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen. Best-Practice-Beispiele sind genauso gewünscht wie Erkenntnisse darüber, was nicht funktioniert.
Soziale Organisationen haben sich – so das Fazit aus Vortrag und Diskussion – bereits auf den Weg gemacht oder sind grundsätzlich bereit dazu, moderne Arbeitsweisen zu etablieren. Teams, die Verantwortung teilen, digitale Tools, die Prozesse erleichtern, Weiterbildung, die allen offensteht und Führung, die auf Vertrauen setzt, scheinen erstrebenswert angesichts künftiger Herausforderungen im Personal- und Organisationsmanagement. Ohne passende Finanzierung, ausreichend Zeit für Entwicklung und Erprobung sowie die Fähigkeit, alle Mitarbeitenden auf den Weg mitzunehmen, drohen diese Bestrebungen jedoch auf der Strecke zu bleiben.
